Freundschaft plus

Warum es schon am Anfang ein Gespräch über das Ende braucht. Eine Kolumne.

Von Carsten Müller

„Seit ein paar Monaten habe ich eine Freundschaft plus. Wir hatten es nicht geplant, der erste Sex ist einfach passiert, als wir zum Seriengucken bei mir waren. Mein Freund heißt Tarek, wir kennen uns schon seit der Schule. Der Sex hat sich von Anfang an echt gut angefühlt. Eigentlich war alles easy, aber jetzt habe ich mich verliebt. Nicht in Tarek, sondern in einen anderen Mann. Irgendwie ist plötzlich alles kompliziert. Ich bin total ratlos, wie ich das mit Tarek regeln soll – ich will ihn als Freund nicht verlieren.

Helene*, 24 Jahre alt

Ein Griff in die bunte Tüte der Beziehungsmodelle. Hallo, Freundschaft Plus! Zwischen den Klassikern wie Partnerschaft, Ehe und Lebensgemeinschaft wirkt diese Beziehungsvariante, die einfach Freundschaft und Sex kombiniert, sexy und verführerisch. Es fühlt sich irgendwie leicht an, braucht keinen Beziehungsstatus und klingt nach wenig Verantwortung. Der Sex ist von Anfang an toll – denn eine Zutat, die gelungene Sexualität braucht, ist längst da: Vertrauen, wie man es nur zu Menschen hat, die man schon lange kennt. Freunde haben eine emotionale Nähe, die es erlaubt, sich von Anfang an fallen zu lassen.

Klingt fantastisch, oder? Tatsächlich kann dieses Beziehungsmodell ganz gut funktionieren. Bis eines Tages einer nicht mehr will. Wie bei Helene. Sie lebte in der Freundschaft plus und hatte das Gefühl, nicht mehr rauszukommen. Weil sie Angst hatte. Und zwar davor, die Freundschaft mit Tarek zu gefährden, wenn sie die Plus-Sache beendete. Gleichzeitig war da ihre neue Liebe und die mindestens genauso große Sorge, dass eine Beziehung keine Chance hätte, wenn sie weiterhin mit Tarek Sex hätte.

Ich erlebe oft, dass „Freundschaft plus“ dann nicht mehr funktioniert, wenn sich eine Person extern verliebt. Ein klassisches Szenario für das Ende. Dann wollen Menschen raus, aber gleichzeitig spüren sie, dass sie eine emotionale Verantwortung für den Freund oder die Freundin haben. Weil sie mit diesem Menschen eben nicht „nur“ den Sex geteilt haben, wie man das bei einem One-Night-Stand tut, sondern ein längeres Stück Lebensgeschichte. Weil das Ganze in einem sozialen Netzwerk stattfindet: Beide haben einen gemeinsamen Freundeskreis, langjährige Beziehungen, sind vielleicht eine unzertrennliche Clique. Wie soll man da aussteigen?

Helene wollte ein Ende, aber mich interessierte der Anfang. Helene war schon lange mit Tarek befreundet, seit der fünften Klasse. Beide hatten Beziehungen zu anderen gehabt. Beide hatten sich getrennt und verliebt. Sex hatten sie noch nie miteinander gehabt. Bis zu jenem Abend bei Helene, als aus Vertrautheit Zärtlichkeit und aus Zärtlichkeit Sex wurde. Beide wussten: Wir sind nicht verliebt, aber wir finden es gut. Richtig gut.

Freundschaft plus ist in der Regel keine bewusste Entscheidung. Die wenigsten sagen: „Hey, ich will Sex mit dir haben, lass uns eine Freundschaft plus haben“. Es ist eher so: Freundschaft plus ergibt sich aus der sexuellen Interaktion. Die ist oft sehr erfüllend, weil die emotionale Bindung bei Freunden sehr hoch ist. Dann entsteht ein Gefühl, dass wir beim Sex ausgesprochen gut finden: Ich kann mich fallen lassen und den Kopf ausschalten, weil ich der Person vertraue, mit der ich Sex habe. Ich fühle mich sicher. 

Es wird zum Freundschaftsalltag, Sexualität miteinander zu leben. Man hat Sex miteinander und wacht immer öfter morgens zusammen auf. Was unterscheidet das noch von einer Partnerschaft? Oft lautet die Antwort: Ich kann mir mit diesem Freund oder dieser Freundin einfach keine Zukunftsplanung vorstellen. Zusammenziehen, Familie, Perspektive – dieser Blick nach vorne fehlt in der Freundschaft plus. Und trotzdem oder gerade deswegen finden viele Menschen diese Art von vFreundschaft gerade am Anfang richtig gut.

Doch wie geht es weiter? Was genau ist eigentlich dieses Plus? Es geht nicht nur um Umarmungen, sondern auch um Zungenküsse und die Stimulation der primären und sekundären Sexualorgane. Es geht um gelebte sexuelle Aktivitäten und Lust. Das ist einfach. Aber dann kommen die komplizierteren Fragen. Wollen wir eine monogame Freundschaft plus? Zeigen wir uns zusammen in der Öffentlichkeit? Sprechen wir im Freundeskreis darüber? Und was machen wir, falls sich einer von uns verliebt? 

Das „Plus“ zur Freundschaft muss geklärt werden. Denn es gibt keine feste Definition oder gar Regeln, was im Einzelnen dazu gehört.

Das macht das Ende so schwierig.  Es ist nicht wie bei anderen Trennungen, wo sich die Wege viel klarer trennen und es ganz logisch ist, auf Distanz zu gehen. Bei Freunden will man das eigentlich nicht. Die emotionale Bindung, die den Sex am Anfang so gut gemacht hat, ist ja noch da. Was also tun?

Helene wusste eigentlich, was sie wollte. Sie wusste nur nicht, wie sie es erreichen konnte. Sie wollte nicht mehr mit Tarek Sex haben, sondern sich auf ihre neue Liebe einlassen. Sie wollte Abstand von Tarek, aber die Freundschaft sollte trotz allem bestehen bleiben. 

Dazu braucht es ein offenes Gespräch. Ich habe Helene vorgeschlagen, mit Tarek konkret darüber zu sprechen, was in ihr vorgeht. Ihm offen zu sagen, dass sie sich verliebt hat und deshalb keinen Sex mehr mit ihm haben will. Und gemeinsam zu überlegen, wie ihre Freundschaft weitergehen sollte. Wo war ihre neue Grenze zwischen Sexualität und einer Körperlichkeit, wie sie unter Freunden üblich ist? Was fühlte sich für Beide gut an? Sie wollte eine Phase der körperlichen Distanz, um wieder in die Freundschaft ohne Plus zurückkehren zu können. Sie nahm sich vor, Tarek zu sagen: „Ich brauche diese Distanz für mich, um damit klar zu kommen. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich brauche das, aber ich möchte auch die Freundschaft mit dir.“

Freundschaft plus kann sehr gut funktionieren. Vom Anfang bis zum Ende. Wenn die beiden, die sich dafür entscheiden, Freundschaft und Plus als getrennte Komponenten betrachten. Dieser Gedanke hilft auch am Schluß: Der Sex, also das Plus, kann aufhören – aber die Freundschaft kann weiterleben.

Zwei Monate nach unserem letzten Treffen schrieb mir Helene. Das Gespräch mit Tarek war gut verlaufen. Sie hatten gemeinsam beschlossen, sich zunächst nur in der Öffentlichkeit zu treffen und sich nicht zu berühren. Das war Tarek auch lieber, weil es ihm Sicherheit gab. Sie hatten geklärt, dass ihre Freundschaft auch ohne Körperlichkeit wichtig war. Und beide hatten die Erkenntnis mitgenommen: Wenn sie noch einmal eine Freundschaft plus anfangen würden, dann würden sie von Anfang an über ein Ende reden.

UND NUN SIND SIE DRAN

Freundschaften sind tiefe emotionale Verbindungen.Wie wichtig sind für Sie Verbindlichkeit oder Kommunikation, und wie möchten sie damit konkret umgehen? Finden Sie drei Dinge, die für Sie Freundschaft ausmachen.

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